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DIE INDUSTRIALISIERUNG ERREICHT BALGACH

Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts ist Balgach eine reine Agrargesellschaft. Die häufigen Missernten und die militärischen Besetzungen im beginnenden 19. Jahrhundert sind für viele Bauern ein Lehrstück: sie merken, dass sie mit Landwirtschaft allein ihren Lebensunterhalt kaum mehr zu decken vermögen, und beginnen nach einem Nebenerwerb zu suchen. Den finden sie in der aufkommenden Textilindustrie. Deren Entstehung wird in der Schweiz begünstigt, weil sich dank der politischen Struktur privates Kapital akkumulieren und ein frühes Unternehmertum entwickeln kann. Das hat Folgen: Die Industrialisierung schreitet voran und lockt Arbeit Suchende aus ärmeren Regionen an. Während Balgach um 1760 schätzungsweise 800 Dörfler zählt, sollen es bis zu den Anfängen der maschinellen Stickerei um 1860 etwa 1300 Einwohnerinnen und Einwohner werden. Bis 1880 wächst die Zahl auf 1539 Köpfe. Die rasante Entwicklung zieht auch Probleme nach sich. Dank des Kartoffelanbaus hat sich die Versorgungslage der Bevölkerung zwar klar verbessert, doch der Hunger ist nicht ganz ausgerottet. Nach wie vor kommt es zu Überschwemmungen und entsprechenden Missernten. Auch der Kartoffelkrankheit fallen mehrere Menschen zum Opfer. Viele wandern aus in der Hoffnung, dem Elend in der neuen Welt zu entkommen. Als sich ab 1880 die maschinelle Stickindustrie durchzusetzen beginnt und sich gute Verdienstmöglichkeiten erschliessen, ebbt die Auswanderungswelle ab.

Die Industrialisierung beginnt in kleinem Stil mit der Textilheimarbeit. In vielen Stuben und Kellern der Bauernhäuser wird Baumwolle oder Seide gesponnen und zu Tüchern verwoben. Der Rohstoff wird den Heimarbeiterinnen und Heimarbeitern in den Dörfern von Zwischenhändlern angeliefert, die im Auftrag der städtischen Verlage unterwegs sind. Die Zwischenhändler holen die fertig produzierte Ware auch wieder ab und reichen sie an die Verlage weiter. So erwirtschaften die Bauern einen Zusatzverdienst, auf den sie bald nicht mehr verzichten können. Das System der Heimindustrie setzt sich in der ganzen Schweiz durch, nur die Branchen unterscheiden sich von Region zu Region. Im Rheintal herrscht die Stickerei vor.


Bild: Balgach gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Rechts das Restaurant Bären.
Balgach um 1900